Erläuterung: Reine, wohltemperierte und gleichtemperierte Stimmung

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Reine Stimmung (diatonische Stimmung, natürliche Stimmung)

Die reine Stimmung basiert darauf, ein Instrument anhand einer Partialtonreihe zu stimmen. Man unterteilt also die Partialtonreihe, um jeweils 12 Halbtöne pro Oktave zu haben. Eine Quinte hat hierbei z. B. die 1,5-fache Frequenz und eine Terz die 1,25-fache Frequenz des Grundtons.

Der Nebeneffekt dieser reinen Stimmung: Da die Frequenzen der einzelnen Partialtöne abhängig vom Grundton sind, besitzt der "gleiche" Ton f in einem auf C gestimmten Instrument eine geringfügig andere Frequenz als in einem auf G gestimmten Instrument. Um es anders auszudrücken: Auf einem auf C in reiner Stimmung gestimmten Instrument kann auch nur in C-Dur gespielt werden. Spielt man in einer anderen Tonart, so stimmen die Frequenzverhältnisse nicht mehr, was zu einem "schrägen" Klang führt.

Um dieses Problem zu umgehen, wurde im 18. Jhdt. die wohltemperierte Stimmung (s. u.) eingeführt, die Ende des 19. Jhdt. durch die gleichtemperierte Stimmung ersetzt wurde.

Die reine Stimmung wird auch als diatonische Stimmung bezeichnet. In dem Falle weist "diatonisch" auf nicht gleichtemperiert gestimmte Intervalle (s. u.) mit den Frequenzverhältnissen der Partialtonreihe hin.

Gleichtemperierte Stimmung (chromatische Stimmung, gleichschwebende Stimmung, gleichstufige Stimmung)

Bereits 1559 berechnete Prinz Chu Tsai Yü in China die nötigen Frequenzverhältnisse, die es erlauben, ein Instrument chromatisch und damit in verschiedenen Tonarten zu spielen (mathematisch betrachtet berechnete Prinz Chu hierzu die zwölfte Wurzel von 2 zu 1 und zwar auf 9 Stellen genau). Die daraus resultierende gleichtemperierte Stimmung wird daher auch als chromatische Stimmung bezeichnet.

Bei der gleichtemperierten Stimmung handelt es sich im Prinzip um eine "kontrollierte Verstimmung" der Partialtonreihe. Dazu definiert die gleichtemperierte Stimmung einen Halbtonschritt als eine Frequenz, die um den Faktor (ca.) 1,0594631 erhöht wird (1,0594631 = 12V2). Ein Ganztonschritt entspricht damit der Multiplikation einer Frequenz mit dem Faktor 1,05946312. Eine gleichtemperierte Quinte wiederum ist das 1,05946317- bzw. 1,4983-fache des Grundtons. In der reinen Stimmung hätte die Quinte hingegen das 1,5-fache. Die relativ geringe Abweichung (und damit Verstimmung) in der gleichtemperierten Stimmung wird also in Kauf genommen, um die chromatische Spielbarkeit des Instruments zu ermöglichen.

Durch die gleichtemperierte Stimmung entsteht ein besonderes Intervall: Der Tritonus, das Intervall von 3 Ganztönen (also exakt die Mitte zwischen Grundton und Oktave). Dieser Tritonus kann eigentlich keinem Ton in der reinen Stimmung eindeutig zugeordnet werden. Für Menschen, die die reine Stimmung gewöhnt sind, klingt dieser Ton daher auch extrem verstimmt. Da der Tritonus also ein etwas "verunglücktes" Intervall ist, das man eigentlich vermeiden sollte, wurde er früher auch als "Diabolus in musica", also als "ein Teufel in der Musik" bezeichnet.

Wohltemperierte Stimmungen

Ab ca. 1700 setzten sich in der Musik die wohltemperierten Stimmungen (von "temperieren" = mäßigen, regeln) durch. D. h. es gab nicht nur die eine, allgemein gültige wohltemperierte Stimmung, sondern eine Vielzahl davon. Hierbei handelte es sich um spezielle Stimmungen, deren gemeinsames Ziel es war, alle Tonarten auf einem Instrument spielen zu können. Die bekannteste der wohltemperierten Stimmungen dürfte die von Andreas Werckmeister bereits 1691 in Europa eingeführte Werckmeister-Stimmung sein.

In der ersten Hälfte des 18. Jhdt. wurde Johann Sebastian Bach durch die Arbeit Werckmeisters zur Komposition des "Wohltemperierten Klaviers" angeregt, welches der wohltemperierten Stimmung schließlich zum Durchbruch verhalf. Ob Bach hierbei jedoch die Werckmeister-Stimmung oder eine andere Stimmung einsetzte, ist nicht mehr nachzuvollziehen. Festzuhalten bleibt lediglich: Die bis dahin immer noch gebräuchliche reine Stimmung wurde ab diesem Zeitpunkt sukzessive durch die wohltemperierte Stimmung verdrängt.

Allen wohltemperierten Stimmungen gemein ist, dass sie sehr ausgeprägte Tonart-Charakterisitiken haben: Da die Frequenzverhältnisse bei den wohltemperierten Stimmungen im Gegensatz zu der gleichtemperierten Stimmung (s. u.) nicht identisch sind, ergeben sich für jede Tonart unterschiedliche Schwebungen, die jeder Tonart eine ganz bestimmte Charakteristik aufprägen.

Anmerkungen

Für Tasteninstrumente und Saiteninstrumente, bei denen jeder einzelne Ton gestimmt werden kann, mag die Verwendung der gleichtemperierte Stimmung noch realisierbar sein. Dennoch werden auch solche Instrumente in den seltensten Fällen gleichtemperiert gestimmt, da erst eine wohltemperierte Stimmung dem Klang eines Instruments das "gewisse Etwas" gibt. 

Bei Blasinstrumenten hingegen ist die gleichtemperierte Stimmung von vorneherein nicht ohne weiteres realisierbar, da bei diesen ein Ton durch Verkürzung und Verlängerung des Schallweges entsteht. Die Länge des Schallweges wird wiederum meist über Ventile bzw. über Klappen beeinflusst. Da sich jedoch alle Töne eine begrenzte Anzahl von Ventilen bzw. Klappen "teilen" müssen, kann die Länge des Schallweges nicht optimal an jeden Ton angepasst werden. Blasmusiker kennen das Resultat: Es gibt auf einem Blasinstrument immer wieder Töne, die "nicht stimmen".

Ein Instrumentenbauer muss also die Position von Ventilen und Klappen möglichst so wählen, dass das Instrument dem Ideal einer gleichtemperierten Stimmung nahe kommt. Erreichen wird man das Ideal jedoch nie. Somit kann bzw. muss man also bei Blasmusikinstrumenten von einer "wohltemperierten Stimmung" sprechen. Die Wirkung einer solchen "wohltemperierten Stimmung", nämlich die Eigenschaft, dass jede Tonart eine andere Charakteristik besitzt, wird auch heute noch von Komponisten und Arrangeuren bewusst bei ihrer Arbeit eingesetzt.